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Die Idee entstand beim Chatten mit meiner Autorenkollegin. Während ich im Zug nach München saß und wir uns über unsere Protagonisten, den bärbeißigen estnischen Offizier mit Hang zu Eskapaden, Arvo Kortelainen aus der "Himmel, Erde, Schnee"-Saga, und ihren nicht minder schillernden Securitate-Maresal Nelu ausließen, kam dann: "Stell dir vor, die beiden würden aufeinandertreffen". Kurz darauf entstand der Plot.
Kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings schien uns der richtige Zeitpunkt, zu dem sich Arvo und Nelu begegnen sollten. Die Hoffnung des Esten, der noch die Zeiten der Unabhängigkeit kannte, auf Reformen und die Möglichkeit, sein Land könnte sich aus der eisernen Umklammerung des Sowjetimperiums in Richtung Freiheit davonstehlen, werden zerstoben. Die Rumänen haben offen mit Moskau gebrochen, indem sie sich nicht an der Invasion in die CSSR im August 1968 beteiligt hatten. Soweit dann der Plan, dass unser gemeinsamer Roman eine Winter-Edition unserer Cold War Fiction werden sollte. Zur Jahreswende 1968/69 reist Nelu undercover in die Moldawische SSR, um einen Dissidentengruppe zu unterstützen, die die Unabhängigkeit von Moskau bestrebt. Im fernen Tallinn dagegen erhält Arvo, der bereits einen Einsatz auf Kuba hatte, den Befehl, nach Chisinau zu fliegen und Nelu aufzuhalten ...
So begann jede von uns zunächst mit ihrem Protagonisten. Für die gemeinsamen Szenen verabredeten wir uns. Meistens Sonntag Nachmittag um 14:30 Uhr. Der Cursor blinkte auf und ich dachte: "Wie steige ich jetzt ein?" Dann las ich das erste Wort, den ersten Satz, den nächsten, und plötzlich war ich in Nelus Perspektive. Auch für mich als Arvos Schöpferin war es faszinierend, wie sich meine Kollegin in seine nordische Einsilbigkeit und seinen trockenen, fast schon zynischen Humor hineinversetzen konnte. Wahrscheinlich ging es mir ähnlich, als ich mich in Nelus südländisches Temperament und seine Traumata hineinfühlte und mit seiner Rolle verschmolz. Wir hatten einen Plot, doch ich erlebte, wie inspirierend Spontaneität sein kann. Wie die eine die Idee der anderen aufgriff, oder eine komplett andere hatte. Nachmittag für Nachmittag gerieten wir in einen richtigen Flow. Ich merkte, dass ich nicht allein bin mit meiner Begeisterung für das Thema Kalter Krieg und ehemalige Sowjetunion/Ostblock, sondern dass wir auch beim Schreiben auf der gleichen Wellenlänge sind. Und dann nahten wir uns dem Finale. Abschied von liebgewonnenen Protagonisten zu nehmen ist auch wie sich von Freunden zu verabschieden.
Aber das sollte nicht so sein. Kaum hatten wir "Winterschwalben" beendet, hieß es: "Was wäre, wenn sich Rimas und Attila begegnen würden?" Sofort prasselten die Bilder meines Kopfkinos auf mich ein und ich musste mich fassen. Ausgerechnet Rimas, der übelste und sadistischste Charakter, den ich je geschaffen hatte, würde zum Co-Star. Aber wer sonst, wenn nicht er? Also prüfte ich Rimas' Terminkalender, was er zwischen Teil 1 und 2 der "Eis und Bernstein"-Trilogie machte, so zwischen September 1985 und April 1986. Nichts, was offiziell dokumentiert wäre. Irgendwann sollte Rimas einmal in Urlaub gehen, bevor er noch einen Burnout bekommt. Nachdem er sowjetischer Wahlbeobachter in Ungarn war, gönnt er sich ein paar erholsame Tage am Balaton. So der Plan. "Steppenfalken" war geboren, eine Ost-Ost-Agentengeschichte mit ein wenig Fluff, Gay Romance und Balaton-Flair der 1980er.
Das erste unserer Crossover "Winterschwalben" erscheint diesen Herbst. Ich freue mich, hier eine Leseprobe aus dem Anfang vorzustellen, als Arvo auf seine Mission geschickt wird:
Unter den wogenden
roten Regimentsfahnen lief Arvo die marmornen Treppen der Kommandantur hinauf.
Ihm kamen salutierende Sergeanten und Unteroffiziere entgegen, fleißige Tippsen
mit ihren hoch aufgetürmten Haaren und wie summende Bienen klingende
Telefonistinnen.
In seinem Büro legte
er seinen Mantel und die Kappe ab, setzte sich und nahm den Schreibkram zur
Hand, mit dem er sich befassen musste. Manöver und Inspektionen von Material
und Männern waren ihm lieber, als staubtrockene Lageberichte durchzulesen und
mit einer Unterschrift zu bestätigen.
»Dobrij utrom, Arvo, der General wünscht
dich zu sprechen.« Serjoschas dröhnende Bassstimme ließ ihn aufblicken. Sein
Kamerad und Kumpan lehnte im Türrahmen.
Kamerad? Sergej
Burakow nötigte Arvo seine Freundschaft auf wie die Russen ihre feuchten
Schmatzer, bei denen er stets das dringende Verlangen verspürte, sich die
Wangen abzuwischen. Unter Esten war es nie üblich gewesen, sich überschwänglich
abzuknutschen – abgesehen von Liebespaaren. Überhaupt nicht. Und gegen Küsse
von Männern hegte er seit seiner Kadettenzeit eine tiefe Abneigung.
»General
Jakowlew?«, fragte er, als bezweifelte er die Glaubwürdigkeit von Serjoschas
Worten, und ließ die braungraue Kartonmappe auf die Schreibunterlage gleiten.
»Da«, bestätigte Serjoscha, schloss die
Lider und nickte kräftig. Dann schaute er ihm mit seinem rundwangigen Gesicht
an wie der Vollmond selbst, wandte sich um und setzte sich an seinen
Schreibtisch in der gegenüberliegenden Nische.
Arvo folgte dem
roten Teppichläufer mit den floralen Borten, der ihn geradewegs in General Jakowlews
Büro führte. Gehorsam stand er vor seinem Vorgesetzten stramm, dessen Gestalt
sich vor dem hellgrauen Himmel und den unscharf durchschimmernden Türmen und
Wehrmauern Tallinns abzeichnete; die abstehenden breiten Schulterklappen, das
zur Seite gescheitelte Haar wirkten im diffusen Gegenlicht wie ein
Scherenschnitt.
»Setzen Sie sich,
Oberst Kortelainen«, forderte er Arvo auf. Korte
– laj – nen. Würde er doch seinen Namen einmal vernünftig aussprechen und
nicht die Vokale schleifen und aus a-i aj
machen!
Sein Widerstreben
und sein Unbehagen niederringend nahm Arvo Platz. Drohte tatsächlich eine
Konfrontation mit dem Nordaltantischen Bündnis?
»Hier ist Ihr
Marschbefehl«, sagte der General und reichte ihm einen Umschlag. Auf Arvos
ungläubigen Blick fuhr er fort: »Sie werden an die sowjetisch-rumänische Grenze
beordert, um diese zu sichern. Seit sich Rumänien von uns losgesagt und seine
Unterstützung gegen die Prager Konterrevolutionäre verweigert hat, dürfte die
Regierung in Bukarest Interesse daran haben, die Moldauische SSR zu
destabilisieren. Ihre Aufgabe ist es, die Grenzgarnison zu kommandieren und
jeden Versuch der Rumänen, Saboteure einzuschleusen, umgehend zu unterbinden.«
»Das lese ich
gerade, Genosse General«, sagte Arvo, den Namen der Operation Schwarz auf Weiß:
Weingarten. Klar, eindeutig.
Moldawien war bekannt für seine vollmundigen, sonnengeküssten Weine. »Wann geht
es los?«
»In zwei Tagen«,
antwortete Jakowlew. »Dann werden Sie zum Militärflughafen Kischinjow fliegen
und von dort aus zur Garnison gebracht. Ihr Einsatz wird so lange dauern, bis Weingarten erfolgreich abgeschlossen
ist. Da Sie bereits an der türkischen Grenze und auf Kuba stationiert waren,
als es dort brenzlig wurde, habe ich keinerlei Zweifel wegen Ihres Gelingens.«
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, ließ die eine Hand auf dem
Koppelschloss ruhen, während die andere sehr offensichtlich in einer Akte
blätterte. »Außerdem hatten Sie vor zehn Jahren mehrere Kommandos in den
Wäldern, um Partisanenbanden auszuheben. Wofür Sie ausgezeichnet und befördert
wurden.«
»Das ist korrekt,
Genosse General.« Noch immer suchten Arvo die Alpträume heim, in denen er
Soldaten ins Dickicht gescheucht hatte, um die unterirdischen Lager der Metsavennad auszuräuchern. Gewehrsalven
klatschten, Schreie, Aufstöhnen, aufstiebende Erde, splitterndes Holz und Blut.
Vor allem estnisches Blut. Auf beiden Seiten. Ihm schauderte vor Scham.
»Noch Fragen zum
Einsatz? Sollten keine aufkommen«, sagte Jakowlew gefällig. »Abtreten,
Kortelainen!«
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