Ein Leben in Trümmern - Rezension "Trümmerland" von Silvia Hildebrandt

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Mihailsdorf, Königreich Rumänien, Mai 1941: Ein Paar neckt sich verliebt am Fluss. Ion Valerian Nicolescu, genannt Nelu, trägt bereits die rumänische Uniform, als er sich von seiner großen Liebe Andrada mit dem Versprechen, sie nach seiner Rückkehr zu heiraten. Der 2. Weltkrieg ist im vollen Gange, das Königreich Rumänien ist mit Hitler-Deutschland verbündet und Nelu kämpft in Bessarabien gegen die Sowjets. Doch mit der Kriegserklärung an die Sowjetunion wird er Andrada so bald nicht mehr sehen, immer weiter rückt er mit seiner Einheit unter dem Kommando des deutschen Oberfeldwebels Schmidt nach Osten weit ins Herz Moldawiens vor. Nelu ist rumänischer Nationalist, hegt Sympathien für die Ideologie der Nazis, aber er und sein Kamerad Marius erfahren mit der abfälligen Bezeichnung Escu die Diskriminierung durch den deutschen Vorgesetzten.

Während zu Haus in Mihailsdorf Andrada ohne Nachrichten von der Front und mit zerstobenen Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft zurückbleibt und mit dem Freund ihrer Schwester Nina, dem Kommunisten Cristian, auf dem Herbstball eine zarte Freundschaft knüpft, zieht es Nelu zu Marius hin. Im Winter stecken er und seine Kompanie im moldawischen Schlamm und Frost fest, doch als Nelu einen russischen Spion fasst und ihn auf Schmidts Befehl verhört und foltert, erhält er ein wenig Anerkennung von dem Deutschen. Andrada erwartet unterdessen ein Kind, obwohl ihr die Gefühle für Nelu einen Stich durchs Herz jagen, heiratet sie Cristian. Dadurch verliert sie, die Tochter der wohlhabenden Familie Constantinescu, das Ansehen im Dorf – während die Pogrome gegen die Juden schärfer werden.

Inzwischen ist die Front weiter nach Osten gerückt, Nelu befindet sich mit seiner Einheit in Stalingrad. Immer mehr bekommt er die Diskrepanz zwischen Deutschen und Rumänen zu spüren, und seine Wut auf Schmidt wächst. Eingekesselt und schlecht versorgt an der Ostfront, bestiehlt Marius die Deutschen und teilt Lebensmittelrationen und Zigaretten unter seinen Landsleuten auf. Während eines Gefechts mit den Sowjets, unter Kälte leidend und ohne Munition, ergibt sich Nelu mit seiner Einheit – und wird in ein Kriegsgefangenenlager nach Kasachstan gebracht. Dort wird er in Einzelhaft zuerst mürbe gemacht und gedemütigt, schließlich umerzogen. Denn mit der Kapitulation König Mihais I. marschieren sowjetische Truppen in Rumänien ein und das Land wird als Sozialistische Republik ein weiterer Satellitenstaat.

1946 kehrt Nelu schließlich nach Mihailsdorf zurück, diesmal in der Uniform der Roten. Er sieht Andrada wieder, die inzwischen als Erzieherin in einem Kindergarten arbeitet und Cristian ein weiteres Kind geschenkt hat. Zwar rettet er sie aus einer brenzligen Situation mit der neuen Staatsmacht, weil noch immer das Bild Antonescus an der Wand hängt, aber für ihn scheint sie verloren. Auch die Rückkehr in sein Elternhaus verläuft anders als Nelu es sich erhoffte, sein Vater sieht ihn als Verräter, und er weiß, das Land, das er fünf Jahre zuvor verlassen hatte, ist ein anderes.

Trotzdem steigt Nelu schnell im neu gegründeten Geheimdienst Securitate auf und deckt bei der deutschstämmigen Helena von Horrowitz, nachdem er in einer Romeo-Mission ihr Vertrauen erschleicht, ein Netzwerk aus alten Nazi-Seilschaften auf. Iulia ist die neue Frau an Nelus Seite, doch weder kann sie ihn über Andrada hinwegtrösten, noch ihn an seinen heimlichen Affären mit Männern hindern. Ende der 1950er Jahre gewinnt Nelu die Gunst des jungen, aufstrebenden Nicolae Ceausescu, wird Teil seines Hofstaats in Constanta am Schwarzen Meer, und steigt schließlich zum Maresal auf. Seiner großen Liebe Andrada steht Nelu dennoch nahe: Er ist Pate ihrer jüngsten Tochter Ana, und zieht mit Iulia in sein Elternhaus in Mihailsdorf. Doch vor Schicksalsschlägen und der ständigen, unberechenbaren Wiederkehr seiner Kriegstraumata ist auch der mächtigste Mann der berüchtigten Securitate nicht gefeit – und als Ana als Heranwachsende immer mehr gegen das Regime und seine Zwänge rebelliert, muss er sämtliche Wege nutzen, um das Mädchen zu schützen …

Mit „Trümmerland“ hat Silvia Hildebrandt eine rumänische Familiensaga à la Allendes „Geisterhaus“ geschrieben und lässt tief in die jüngere Geschichte dieses Landes eintauchen. Ihre Figuren, insbesondere Nelu, erheben sich dank ihrer starken und zugleich zerbrechlichen Charaktere über jede Wertung. Man lernt sie als Leser kennen, begleitet sie auf ihren Stationen, erlebt ihr Schicksal und wird von ihnen in den Bann gezogen. Anschaulich und lebendig – auch dank des Lokalkolorits – erscheinen die rumänischen Feste, die Dörfer, die Farben, und genau diese Kriterien machen für mich ein schönes, kurzweiliges und beeindruckendes Buch aus. Andradas und Nelus Schicksal zeigt sehr deutlich, wie sehr Kriege und politische Verwerfungen das Leben von Menschen in Trümmer legen können.


Silvia Hildebrandts neuer Roman "Trümmerland"

 

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