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Inzwischen führe ich mit den
Charakteren aus „Eis und Bernstein“ eine Langzeitbeziehung, die 1991/92 begann.
Sozusagen eine Jugendliebe. Und oft prägt eine Jugendliebe ein ganzes Leben.
„Eis und Bernstein“ ist wohl der
Roman, der mich ebenso lange beschäftigt und der bereits einige andere Titel
trug und in dem die Darsteller ein wenig wechselten. Um eines ging es darin
immer: Die Sezession Litauens und die Ereignisse des 13. Januar 1991.
Vor 30 Jahren traf ich Algirdas Montvila,
Valdas Grinfeldis, Rasa, und nicht zu vergessen, Rimantas K. Rutkus. Damals stieß
ich in Reportagen und einigen wenigen Büchern auf die litauischen Namen. In
Zeiten vor Google und noch nicht ganz durchlässiger Grenzen war die Recherche
etwas aufwändiger und herausfordernder. Weitere Zutaten waren eine gehörige
Portion Empathie, sowie die Fähigkeit, sich an fremde Orte zu versetzen und
viel, viel Gespür.
Also der erste Versuch „Blut und
Bernstein“, den ich mit Bleistift auf einen Spiralblock niederschrieb.
Protagonist war Algirdas, der als Ingenieur nach Kuba geschickt wurde, um den Hermanos
in Havanna brüderliche Hilfe zu leisten. Er kehrte zurück, kam, sah und siegte
– die Unabhängigkeitsbewegung war im vollen Gang und er mischte in der Politik
seines Landes mit.
Und hier tritt Rimas Rutkus auf
den Plan. Eigentlich war der fiese KGB-General nur eine Randfigur, der wie
Darth Vader seinen Schatten auf das Leben der anderen Charaktere werfen sollte.
Wie ein Irrlicht tauchte er einmal hier und einmal dort auf, brachte Valdas
schon einmal in die Zelle. Doch der zockte in einem Kartenspiel um seine
Freilassung und den Handel mit einem hohen Apparatschik, dessen Tochter zu
heiraten.
Überhaupt Valdas, der 1998
dazukam. Als Kriegskind und mit jüdischer Abstammung hatte er bereits eine
eigene Geschichte. Er war Mobbingopfer und Überflieger. Und der Meister des Tatata,
der großen Sprüche, sowie ein grandioser Programmierer. Gleichzeitig führe ich
an Valdas eine Feldstudie über eine hin- und hergerissene Persönlichkeit durch,
die sich selbst im Weg steht.
Meine ersten Testleser waren
meine Mitschüler und Freunde. Da ich keine der Versionen veröffentlicht hatte,
habe ich nur die Reaktionen in Erinnerung, genauso wie die Fragmente meiner ersten
Versuche. Die Mädchen waren von Algirdas begeistert, aber auch Valdas
hinterließ einen bleibenden Eindruck als cooler, legendärer Charakter. Bei den
aktuellen Testlesern kristallisiert sich ein ähnliches Bild heraus, ich
vermute, Algirdas wird zum Liebling und sie nennen ihn schon bei seinem
Spitznamen. „Dieser Galgenhumor, echt Klasse, wie sich Algis entwickelt.“
In den Versionen der frühen 2000er
Jahre geriet Algirdas leider sehr in den Hintergrund. Obwohl ich ihn liebe wie kaum
einen Charakter, den ich nach ihm erschuf, habe ich ihn stiefmütterlich
vernachlässigt und Rasa in eine toxische Beziehung stürzen lassen.
Heute leiste ich auf den Knien
Abbitte an meinen Charakteren. Algirdas wird nach Kuba entsandt, trägt den
Beinamen Eiserner Wolf und mischt wieder mit. Rasa darf ihre großen
Momente ausleben. „Eis und Bernstein“ bedeutet in Anspielung auf den
allerersten Titel ein Back to the Roots.
Fehlt nur noch Rimas. Als ich
2018 mit der „Eis und Bernstein“-Trilogie begann und das Prequel schrieb,
merkte ich, dass sich seine Figur verselbständigte. Er brauchte mehr Tiefgang,
mehr Erklärung als KGB-General und als die düstere Unwetterwolke über den
Köpfen meiner Charaktere. Aber auch das war mir noch zu wenig, weil ich keine
klischeehaften Figuren erschaffen kann. Die Rolle böser KGB- oder
Kommunistenschurke liegt mir nicht. Rimas ist ein Sadist, hat eine
Profilneurose und leidet an Selbstüberschätzung und er verliert die Kontrolle,
aber er hat auch eine weiche, verletzbare Seite. Wahrscheinlich wird er, wenn
die Trilogie erscheint, polarisieren. Aber er begeistert auch die bisherigen
Testleser.
So sehr, dass Rimas jetzt seine
eigene Koproduktion bekommt.
Nächste Woche: How I Met My Character Vol. 2
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