Die Playlist

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Dass Musik den Spießer und den Rebellen zusammenbringt, weiß Madonna in "Music". Anders als in Filmen und in Serien ist der Soundtrack zum Buch nicht direkt visuell; die sogenannte Playlist dient dem Kopfkino des Lesers. 



Mein großes Kino

Ich komme nicht darum herum, fast jedem meiner Romane eine eigene Playlist aufzudrücken, genauso wie die Dramatis Personae, das Personenregister. Für mich ist Schreiben mehr als nur Geschichten von Abenteuern, Liebe, Agenten, Politik und Kaltem Krieg zu erzählen, es ist großes Kino. Eigentlich war es das schon immer für mich, nur fanden Songtitel oder klassische russische und litauische Stücke noch keinen direkten Einzug in die Handlung. Obwohl ich meine heimlichen Favoriten hatte. Mit den Jahren verändert sich auch die Literatur und die Art des Erzählens, immer mehr Autor*innen erstellen inzwischen Playlists.

Seitdem ich in den frühen 1990er Jahren zu schreiben begann, spielte Musik eine wichtige Rolle dabei. Ich wuchs mit den Titeln der 1950er, 60er, 70er und 80er Jahre auf, entweder liefen sie im Radio oder ich ließ mich von der Plattensammlung meiner Eltern überraschen. Für mich sind meine Kassetten aus den späten 1980ern, frühen 90ern ein unermesslich wertvoller Schatz, vor allem, was Staffel 2 und 3 der "Januar"-Trilogie anbelangt. Unglaublich, welchen Aufwand meine Generation betrieben hatte, die damaligen Lieblingslieder vom Radio auf Band aufzunehmen. Wer vor 30, 40 Jahren aufgewachsen ist, weiß, wovon ich spreche ... Heute befallen mich Aha-Erlebnisse, wenn ich fast vergessene Favoriten höre und mich in das einstige Zeitgefühl zurückversetze. Richtig, es geht mehr um ein Lebensgefühl, das wieder aufkeimt, als um ein Zeitdokument.





Innehalten in einer lauten, hektischen Zeit

Früher konnte ich problemlos die Musik hören, die meine Werke begleitete. Sie inspirierte Szenen, gar meine Protas und deren Handeln. Diese Fähigkeit ist mir mit den Jahren abhanden gekommen, was am beschleunigten Tempo der vergangenen 20, 30 Jahre liegt. Stets zwischen Arbeit und Familie, umgeben vom Lärm des Alltags, mitgetrieben vom Strom meiner Mitmenschen, denen es ähnlich ergeht, brauche ich zum Schreiben sehr viel Entspannung und ein ruhiges Umfeld. Beides zugleich, mich auf meine Protas einlassen und Musik hören wird mir zuviel. Entweder konzentriere ich mich vollkommen auf das Manuskript, oder ich achte auf Melodien, Arrangements und Text. Sofort würde mir genau die Szene einfallen, zu der das Stück passt. Fast wie im großen Kino.


Die Auswahl vs Vorurteil

Was mich vor einigen Jahren noch gehemmt hatte, ist die Frage: Wenn ich meine Romane hauptsächlich in der Sowjetunion der 1970er/80er Jahre spielen lasse, geht dann englischsprachige Musik? Würde sie zu dominierend? Soll ich lieber beliebte landestypische Titel auswählen? 

Viele Menschen im Westen denken, durch den Eisernen Vorhang wäre Ost- und Nordeuropa (die Baltischen Staaten) so hermetisch abgeriegelt gewesen, dass dahinter nur rückständige, unwissende Menschen leben mussten. Das ist nur ein Vorurteil. Natürlich waren Musiker wie ABBA, David Bowie Bruce Springsteen, oder Kate Bush auf der anderen Seite bekannt und beliebt. Vor der Perestrojka, bzw. der Wende waren Schallplatten westlicher Künstler*innen entweder nur auf dem Schwarzmarkt, für die Nomenklatura in Sondergeschäften, oder als Raubkopien findiger Menschen erhältlich, oder wurden mit viel Glück von der Westverwandtschaft eingeschmuggelt. Gelegentlich wurden englischsprachige Titel von offizieller Stelle genehmigt und auf die Melodija-Platten gepresst; hin und wieder konnten westliche Popstars auch in den ehemaligen Ostblock- und Sowjetländern Konzerte geben. Ab Mitte der 1980er Jahre, im Zuge der Öffnung durch Michail Gorbatschow, erübrigte sich die Frage und eine nach Freiheit und der großen weiten Welt dürstende Masse konnte westliche Pop- und Rockmusik nach Belieben hören.

Trotzdem ist es mir sehr wichtig, dass ich hierzulande weniger bekannte Interpret*innen wie Alla Pugatschowa, Georg Ots, Neringa oder den litauischen Komponisten Ciurlionis mit in die Playlists der "Himmel, Erde, Schnee"- und "Januar"-Welt nehme. Denn ich möchte eines, ja, richtig: Welten erschaffen, die allen offenstehen und die Herzen berühren.


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