Eis und Bernstein Staffel 1 #5: Odessa

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Odessa am Schwarzen Meer hatte bereits zu Sowjetzeiten den Ruf als Urlaubsort, Stichwort Rote Riviera. Schon in "Himmel, Erde, Schnee" verbringen Arvo und Lagle ihre Ferien unter Palmen und in einer der realsozialistischen Hotelburgen. Ob sie dem Šedvila/Grinfeldis-Clan aus Litauen dort über dem Weg gelaufen sind, überlasse ich Eurer Fantasie.

Am Schwarzen Meer könnte es schön sein, wäre Valdas nicht genervt von seinem Schwiegervater Vytautas, der in Vilnius allerhand Strippen zieht, und seinem Schwager Justas, der zwar Major der Panzergrenadiere, aber nicht unbedingt der hellste Kopf des Landes ist. Zudem muss er seine Eheprobleme lösen.


 
Odessa, Ukrainische SSR, Juli 1982
In Valdas‘ Hand steckten nur noch drei Karten, eine Herz Zehn und seine beiden Könige. Möglicherweise würde er die Runde, die er mit Arūnas, seinem Schwiegervater und Justas spielte, gewinnen. Obwohl er bereits seine Worte durchdachte, mit denen er Rūta erklärte, dass er eine Beziehung mit Rasa führte, hatte er sich jeden Stich gut überlegt. Die Mittagshitze und die beiden Büchsen Bier trieben ihm den Schweiß aus jeder Pore seines Körpers, lediglich die leichte Schwarzmeerbrise kühlte die Haut unter seinem Hemd.
         Einfältig wie immer starrte Justas auf seine Karten, sortierte sie, nippte an seinem Bier. Unter der Krempe seines Panamahuts zog Vytautas angestrengt nachdenkend die Brauen hoch und Arūnas biss auf einem der Zahnstocher, die vorhin noch Melonenschnitze auf ihren Schalen zusammengehalten hatten.
         „Du bist dran“, sagte Valdas zu seinem Sohn.
         Dessen grünbraune Augen blickten unschlüssig über die Spielkarten hinweg. „Ich weiß nicht, was ich rauslegen soll“, meinte Arūnas, spielte einfach eine Pik Sieben aus. „Ist ja auch egal.“
         „Uns geht es nur um ein paar Kopeken und ums Vergnügen“, pflichtete ihm Vytautas bei, neigte den Kopf zu Valdas. „Nicht wahr?“
         Was siehst du mich schon wieder so an? Gereizt schnaubte er, legte seine Karten verdeckt ab, um sich eine Kosmos anzustecken. Valdas nahm den Kartenfächer wieder auf, wartete, bis Justas lustlos eine Karo Zehn ausspielte, um Arūnas zu stechen.
         „Diese Runde überlasse ich euch“, sagte Vytautas, legte ein niedriges Blatt oben auf. „Nu, Valdas?“
         „Herz sticht Karo“, entgegnete er, dabei bewegte sich der Zigarettenfilter zwischen seinen Lippen.
         Unter Arūnas‘ schmalem, zustimmenden Lächeln nahm er den Stapel an sich. Jetzt war er an der Reihe, wog ab, welchen der beiden Könige er zwischen den Bierbüchsen und dem gut gefüllten Aschenbecher auf die Tischplatte legte. Letztendlich machte es keinen Unterschied, welcher Vytautas und Justas mehr reizte. Sobald er ihnen nach der Runde den Rücken zukehrte, würde Justas ein paar unschöne Dinge über ihn sagen. Er würde jedenfalls kein Spiel verlieren, damit er ihn etwa besser leiden konnte. Valdas wusste, das würde niemals der Fall sein.
         „Nutzt du noch die Zeit hier in Odessa aus, bevor du zum Ernteeinsatz musst?“, wandte sich Vytautas an Arūnas.
         „Das tue ich“, antwortete der Junge.
         „Als ich in den Sommerferien zur Ernte abkommandiert wurde, gab es auf der Kolchose nur einen einzigen Mähdrescher. Und die Felder waren riesig“, erzählte Valdas. „Wir mussten den Weizen mit Sensen schneiden, die Garben zusammenbinden und mit Pferdewagen zum Dreschen in die Tenne bringen. Was glaubst du, was das für eine Arbeit war, bei Staub und Hitze?“
         „Keinem Mann hat harte Arbeit je geschadet“, entgegnete Justas, umfasste den prallen Muskel seines Oberarms. Plötzlich entglitten ihm die Gesichtszüge, seine Kinnlade klappte herunter.
         „Weil du täglich auf dem Feld stehst“, konterte Valdas, dann blickte er auf.
         Schwatzend trippelten zwei junge Russinnen am Tisch vorbei, ihre Badeanzüge knapp und zu den Hüften hochgeschnitten. Kein Wunder, dass der Schwachkopf so stierte. Aus den Augenwinkeln sah Valdas ihnen nach, erinnerte sich, wie sehr ihm Rasa fehlte. Tausendmal lieber würde er jetzt ihre Anwesenheit genießen als seinen Schwager und seinen Schwiegervater beim Kartenspiel zu schlagen. Er warf den Herzkönig auf den Tisch.
         „Was spielst du zusammen?“, mokierte sich Justas. „Hast du etwa noch einem Trumpf?“
         „Sieh nach.“ Valdas drehte seine letzte Karte zwischen den Fingern, allerdings so schnell, dass Justas sie nicht erkennen konnte.
         Rūta kam mit der in ein Handtuch gepackten, schlotternden Izabelė auf die Terrasse, im Schlepptau Justas‘ Söhne und seine Frau Jolanta. Wassertropfen klebten zwischen Izabelės Wimpern, ihre Haut war von einer Gänsehaut überzogen. Der Wind bauschte Rūtas weißes, besticktes Trägerkleid.
         „Blinij! Blinij!“, bettelten die beiden Jungen, die weder ausgefroren, noch abgemagert wirkten, nach Kartoffelpfannkuchen.
         „Iza, setz dich in die Sonne und wärm dich auf“, sagte Rūta, wandte sich an Valdas: „Während du hier herumsitzt und Karten zockst, war sie die ganze Zeit im Pool. Obwohl wir jetzt zum Strand gehen wollten.“
         Als sie die Sonnenbrille ins Haar schob, bemerkte er den perlrosa Lack auf ihren Nägeln.
         „Und was hast du in der Zwischenzeit gemacht?“, entgegnete er.
         „Ich war im Kosmetiksalon, habe mir für heute Abend die Nägel lackieren und die Augenbrauen machen lassen“, antwortete sie. „Aber das hatte ich dir gesagt. Würdest du mir nur einmal zuhören …“ Sie drehte sich auf den Absätzen ihrer Sandalen um. „Ich gehe jetzt aufs Zimmer und ziehe mich für den Strand an.“
         Inzwischen hatte Valdas keinerlei Skrupel mehr, ob er Rūta vielleicht bereits am Anfang den Urlaub verdarb, oder ein paar Tage später. Er hatte sich vorgenommen, dieses Gespräch heute mit ihr zu führen.
         „Warte, ich komme mit“, sagte er, drückte die Kosmos wie die anderen auch im Aschenbecher aus, legte den zweiten roten König offen hin und stand auf. „Arūnas, spielt weiter“, bat er den Jungen, „und kauft euch etwas vom Einsatz.“
© Ira Ebner 2020


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