Der Kompass mit den drei Löwen - Update "Schwalben"

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Inzwischen ist die Überarbeitung von "Schwalben" soweit vorangeschritten, dass ich im 3. Teil angekommen bin. Das Ende ist zwar noch nicht in Sicht, doch ich komme Kapitel um Kapitel voran.
Für diejenigen, die den Roman noch nicht kennen - aber auch für diejenigen, die bereits Bekanntschaft mit Fee und Kalju geschlossen haben, gibt es heute eine Leseprobe aus dem 1. Kapitel "Der Kompass mit den drei Löwen". Fees Erinnerung führt zurück ins Estand des Jahres 1947. Ihre Heimat steht bereits unter Stalins Stiefel und Widerstand zu leisten ist lebensgefährlich ...

Noch ist die alte Fassung erhältlich



Die Glut warf ein Spiel aus Licht und Schatten auf die niedrige Decke. Die weiß getünchte Holzbohlenwand trat bei Nacht als graue Fläche aus der Dunkelheit. Kaljus Hand strich Fees Rücken hinab. Unwillkürlich zuckte sie unter dem angenehmen Schauer zusammen, spürte die Wärme und den feuchten Schweiß in der Vertiefung seiner Brust. Im schwachen Flackern der Glutnester schimmerten seine blonden Haare kupferfarben. Sie schloss die Augen, schob den Gedanken wieder von sich, dass er bald wieder in die Wälder aufbrach und sie mit der ungewissen Sorge zurückblieb. Oder dass sie Estland und ihn verlassen sollte, so wie er es ihr nahegelegt hatte. Sie hoffte, dass diese Frage ausblieb. Seine Finger fuhren durch die Strähne, die über ihr Ohr gefallen war, strichen sie zurück. Anscheinend hatte er für eine Weile seinen Frieden wiedergefunden.
Plötzlich krachte etwas dumpf vor dem Haus. Kalju fuhr hoch. Fee riss die Augen auf. Hastig suchte sie ihre Wäsche zusammen, befestigte mit zitternden Fingern die Strümpfe an den Haltern und stieg in die groben Arbeitshosen. Er fasste nach seiner Walther, stolperte zur Hintertür, schob den Riegel weg, riss sie auf und zielte in die Nacht. Fee schob ihre Füße in die Stiefel, suchte hinter seinem Rücken Schutz. Sein Atem ging leise, aber schnell, wie sie an den kleinen Wölkchen erkannte. Die Haare an seinen Unterarmen standen auf wie die Rückenhaare eines erregten Hundes. Er senkte die Hand wieder, der Lauf der Walther zeigte auf den Boden. Niemand war auf dem Hinterhof zu sehen, nur die schwarzen Schatten der Blechfässer mit dem Traktorendiesel, die sich hier stapelten.
Fee beruhigte sich selbst, dass die Hunde des Dorfes schwiegen. Dafür lag ein Haufen schwerer, wässriger Schnee auf den Holzstufen. Kalju verriegelte die Tür und wandte sich ihr zu. Da war wieder dieses unstete Flackern in seinen eisblauen Augen, die überall Verrat und Tod sahen. Er knöpfte das Hemd zu und auch die stolze, wenn auch abgetragene Jacke der Omakaitse, sicherte die Walther, bevor er sie einsteckte. Er nahm ihr Kinn in die Hände. Sie spürte seinen Atem auf ihren Lippen.
„Es war nur der Schnee“, sagte er. Für einen kurzen Moment zeigte ein Lachen seine Zähne. Das Lächeln verlosch, und er fuhr ernst fort: „Je länger man im Untergrund ist, umso mehr jagen einen die Geister. Fee, nun?“
Sie schluckte. Er erwartete ihre Entscheidung. Sie hätte ihn besser kennen sollen. Er stellte ihr die Frage. Er war immer zuverlässig gewesen, und auch jetzt sollte sie sich auf ihn verlassen.
„Was willst du von mir hören?“, entgegnete sie ihm diese leere Gegenfrage, um Zeit zu gewinnen. Aber sie wusste längst, dass er zu schlau war, um sich auf Ausweichmanöver einzulassen.
„Ich will von dir wissen, ob du bereit bist für die Überfahrt“, antwortete er. „Ob du die nötigsten Dinge gepackt hast. Kaisa wird dich an die Bucht bringen.“
„Kaisa“, sagte sie scharf, sah ihm in die Augen. „Was ist mit dir und Kaisa?“
Er umfasste ihre Hände, sein Blick wich kurz ab. Er sollte wissen, dass auch sie zu schlau war, um sich mit beschwichtigenden Floskeln abzufinden.
„Was soll mit Kaisa sein?“ Seine Blicke drangen tiefer in ihre Augen. „Du weißt, dass ich dich nie gezwungen habe, mir zu gehorchen. Aber dieses eine Mal bitte ich dich, mir zu gehorchen. In Estland ist kein normales Leben mehr möglich. Wir kämpfen gegen die Roten, verstecken uns in den Wäldern, und der nächste Tag kann für jeden von uns das Ende bedeuten. Du setzt dein Leben aufs Spiel, wenn du hierbleibst. Toomas hat dich einmal davonkommen lassen. Er wird es kein zweites Mal tun. Nein, Fee, ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie dich noch einmal mitnehmen.“
„Ich habe dich nicht verraten, Kalju“, bekräftigte sie.
Er ließ ihre Hände los, hob die Pelerine von der Stuhllehne auf. Er suchte nach etwas in der Jackentasche und umklammerte es. „Nein“, sagte er entschieden, trat zur Tür.
Fee folgte ihm, sah zu ihm auf.
„Auch wenn mir mein Bruder Straffreiheit anbietet, wenn ich auf seine Seite wechsle“, fuhr er fort. „Ich tue es nicht.“
Sie blinzelte die Tränen fort, was ihm sichtlich nahe ging.
Die Spitze seines Zeigefingers strich unter ihr Kinn. „Wenn Gott will, sehen wir uns als freie Menschen wieder“, sagte er. „Sieh zu, dass du nach Finnland kommst, und von dort aus kehrst du nach Deutschland zurück. Versprich es mir.“ Er zog ihre Hand zu sich und legte etwas Rundes hinein. „Behalt den Kompass, damit du deinen Weg nie aus den Augen verlierst“, beschwor er sie. „Steck ihn ein und verrat niemandem, wer ihn dir geschenkt hat. Bis wir uns wiedersehen. Bis ich dich in ein freies Estland nach Hause hole.“ Lange Sekunden verfingen sich ihre Blicke mit dem Schweigen, dann küsste er sie, als wollte er sie erlösen.
Im schwachen Licht betrachtete sie den eingedrückten Deckel. Die drei estnischen Löwen der untergegangenen Republik lächelten ihr entgegen. Schnell versenkte sie ihn in der Hosentasche. Er schob den Riegel beiseite, trat in den Schneematsch auf den Stufen. Unter seiner Jacke fasste er nach dem Griff der Walther, blickte dabei nach allen Seiten. Fee begleitete ihn zu den Blechfässern, weiter zum Zaun. Hinter dem Wassergraben erhob sich verschwommen das Dickicht, das zu der dunklen Masse des Waldes zusammenfloss. Offensichtlich verstand Kalju die Bitte, die in ihren Augen lag. Er breitete seine Arme aus, die in der Pelerine wie die Schwingen einer Krähe wirkten, und umschloss sie. Sie umfasste seine starken Schultern, spürte die drahtigen Bartstoppeln seines Kinns an ihrer Wange. Noch einmal nahm sie seine Wärme auf. Langsam, aber entschlossen löste er sich von ihr, hob die Hand zu einem Abschiedsgruß und setzte mit einem Sprung über den Wassergraben.


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