Blogtour "starke Frauen in der Literatur" - Gastbeitrag Sabine Ibing: Rezension "Miss Terry" von Liza Cody
Der erste Satz: »Könnten wir Nita
Theri beim Schlafen zusehen, wir bekämen vermutlich einen ganz falschen
Eindruck.«
Nita Theri, in England geboren,
Britin, Tochter pakistanischer Einwanderer, hat sich in London, unweit vom
Fluss, eine Eigentumswohnung gekauft. Sie arbeitet als Lehrerin. Später erfährt
man, sie hat ihrem Vater ein Geschäft verpatzt, denn der wollte sie meistbietend
an einen älteren Mann nach Pakistan verheiraten. Nita wollte weder ihr Studium
abbrechen noch einen älteren Mann heiraten. Sie ist abgehauen, muss sich
verstecken, denn wehe, ihr Vater und die anderen Männer der Familie erwischen
sie ... Heimlich telefoniert ihre jüngere Schwester mit ihr, die sich nämlich
nicht gewehrt hat, die das Studium abbrach, im fremden Ausland bei einem
ungeliebten Mann lebt. Nita muss sparsam sein, die Raten für die Wohnung und
die Rückzahlung des Studiendarlehns drücken. Sie geht nicht viel aus, hat wenig
soziale Kontakte. Liza Cody hat diesen Krimi aus der personalen Ebene
geschrieben. Nicht in der Ich-Form, sondern als Leser blicken wir auf Nita,
erleben, was sie erlebt und sehen nur das, was Nita von der Welt sieht.
Doch nun von Anfang an: Vor dem Haus
gegenüber steht ein Container, es wird renoviert. Nita ärgert sich, denn die
Nachbarn entsorgen ihren Müll, ihre Tannenbäume und vieles mehr zwischen dem
Bauschutt. Und plötzlich klingelt die Polizei bei Nita, stellt komische Fragen.
Man fragt, mit wem sie schläft und mit wie vielen. Was passiert sei, fragt
Nita, worum es gehe. Nur ein paar Fragen. Man hält sich bedeckt. Andere
Nachbarn werden nicht ausgequetscht. Was geht vor? Man verlangt sogar eine
DNA-Probe von Nita. Sie bittet die Polizisten, zu gehen.
»›Sie sprechen verdammt gut
Englisch‹, sagte Reed in einem Ton, der versöhnlich klingen sollte. - ›Ich bin
Engländerin.‹ Nita war so wütend, dass sie fast stotterte. ›Und sie beide gehen
jetzt bitte.‹«
Immer wieder diese Frage! Nita
versteht es nicht. Die Polizisten gehen nicht, bitten sie sogar, einen Tee zu
kochen, amüsieren sich, wie sie die Kanne vorwärmt. Man kann die Polizei nicht
rausschmeißen, nicht mit dieser Hautfarbe. Aber man muss sich auch nicht alles
gefallen lassen. Nita informiert sich, ob sie ohne Begründung ihre DNA abgeben
muss. Auf Seite 81 erfahren wir endlich gemeinsam mit Nita, was passiert ist.
In dem Container wurde ein toter Säugling gefunden.
»›... Ein kleines Mädchen, höchstens
ein paar Tage alt, wobei wir noch auf den gerichtsmedizinischen Befund warten,
um ganz sicher zu sein. Und genau, wie sie bereits vermutet haben, war das Baby
multi-ethnischer Abstammung.‹ - ›Welche Ethnien?‹ - Sergeant Cutler schaute
unbehaglich drein. - ›Sie wissen es nicht, nicht wahr?‹ Nita empfand etwas wie
Genugtuung. ›Und daraufhin haben sie sich auf
die einzige farbige Frau in der Guscott Road gestürzt. ...«
Für Nita bricht nun
eine Welt zusammen. Anwohner behaupten, sie wäre schwanger gewesen. Eine
Nachbarin hält zu Nita und klärt sie auf, welche Gerüchte herumgehen.
»Die Nuttige
behauptet, Sie hätten einen Braten in der Röhre gehabt, als Sie hierher zogen.
Die Hochnäsige erklärt, Sie wären illegal eingewandert, und der bekloppte Idiot
da überm Frauenhaus krakeelt, Sie wären eine arabische Bombenlegerin. Ich hab
gesagt, Sie sind nicht der Typ für so was, aber die verflixten Cops meinten,
das wäre generell keine Frage des Typs, und wir müssten heutzutage alle die
Augen offen halten, immer und überall.«
Hass gegen die
Dunkelhäutige springt Nita nun entgegen. Auch an der Schule wird sie vom
Direktor zum Gespräch geladen. Umschläge mit merkwürdigen Dingen landen in
ihrem Briefkasten. Da tritt Privatermittler Zach in ihr Leben. Der kennt sich
mit polizeilichen Ermittlungen aus. Sein Honorar frisst Nitas Notgroschen auf.
Eine Boshaftigkeit nach der anderen stellen ihr Leben auf den Kopf. Wird Zach
sie vor der Polizei schützen können, herausfinden, wer Nita bedroht? Wird die
Zeitung ihren Namen schreiben und die Familie ihr auf die Spur kommen?
»WAS NU BRAUNE KUH«,
so ist das Päckchen beschriftet, das vor Nitas Haustür liegt.
Nita kocht gern
scharfe Gerichte. Genauso scharf sieht Lisa Cody hin und wir erfassen gemeinsam
mit Nita eine Welt voll Ausgrenzung und Vorurteil. Nita Theri erklärt mehrfach,
wie man ihren Namen ausspricht. Ignorant wird sie von den Polizisten weiter
Miss Terry genannt (schnell gesprochen landen wir bei mystery), man ignoriert
ihre Fragen, ihre Aufforderungen, mach sich in ihrer Gegenwart lustig über sie.
Sie ist Britin, auch das wird nicht wahrgenommen, sie ist die Dunkelhäutige.
Dieser Roman, Krimi ist fast die falsche Bezeichnung für diese gute Geschichte,
ist spannend, besitzt britischen Humor und natürlich ist diese Geschichte ein
Drama. Nita wächst dem Leser ans Herz, man würde sie gern beschützen, die zarte
Frau, einmal naiv und wehrlos, dann wieder durchsetzungsstark, überlegt. Immer
wenn man meint, Nita hätte genug gelitten, setzt uns Liza Cody eins oben drauf.
Die Geschichte ist hinterhältig. Aber trotz allem hat man nie das Gefühl, ins
Dunkel gezogen zu werden, denn Nita gibt nie auf und immer wieder leuchtet ein
Stern am Firmament. Eine Geschichte gegen Rassismus, denn nur weil man den
»richtigen« Pass besitzt, gehört man noch lange nicht dazu. Nita hängt zwischen
den Welten. Die englische Welt lässt sich nicht ganz herein und die Welt, von
der sie sich getrennt hat, lässt sie nicht ganz gehen. Als sie ihre Familie
verließ, wusste sie, es gibt keine Rückkehr. Heimlich hält sie Kontakt mit einer
Schwester, hofft, ihr jüngerer Bruder sei in dieser Welt angekommen, würde ihr
nicht nach dem Leben trachten wie der Vater und der Onkel. Ihre Gedanken
schweifen immer zurück zur Familie, Gedanken der Liebe an die einen, die der
Angst vor den anderen. Wo ist Nita zu Hause? Die Geschichte zeigt nicht nur die
seelische Zerrissenheit von Nita, sondern gelernte Verhaltensmuster aus der
Kindheit tauchen auf: Furcht vor der Obrigkeit, sich ducken, unsichtbar machen,
um bloß nicht unangenehm aufzufallen, freundlich zu sein, sich Männern zu
fügen. Nita setzt die Polizisten nicht vor die Tür, empört sich nicht, als der
Direktor sie freistellt. Sie lässt sich alles gefallen ... nicht ganz. Es gibt
Solidarität, auch wenn du gar nicht mehr damit rechnest. Ein wundervolles Buch.
Zu Recht erhielt Liza Cody in diesem Jahr den »Deutschen Krimipreis« für dieses
Buch und 2015 für den Obdachlosen-Krimi „Lady Bag“.
Deutscher
Krimi Preis 2017
Platz 4 der KrimiBestenliste, Februar 2017.
Platz 2 der KrimiBestenliste, Januar 2017.
Platz 4 der KrimiZEIT-Bestenliste: die besten Krimis des Jahres 2016.
Platz 1 der KrimiZEIT-Bestenliste, Dezember 2016.
Platz 4 der KrimiBestenliste, Februar 2017.
Platz 2 der KrimiBestenliste, Januar 2017.
Platz 4 der KrimiZEIT-Bestenliste: die besten Krimis des Jahres 2016.
Platz 1 der KrimiZEIT-Bestenliste, Dezember 2016.
Frauenbild
in der Literatur heute - Literatur prägt das Bewusstsein.
Von
Sabine Ibing
Ich
erinnere mich an ein Seminar in meinem Studium, in dem wir Gesellschaftsbilder
an Hand von Bilderbüchern und Schulbüchern analysierten. Schon im Mathebuch
kann man an Textaufgaben die Unterschiede sehen:
Mutter
backt Kekse ... Vater recht Laub ... (60ger)
Michaela
und Ayshe spielen Murmeln (80er) ...
Baggerführerin
Ella braucht 3 Stunden um (DDR) ...
Ich
will nun keinen Literaturrückblick auf die Geschichte geben, vielleicht noch
erwähnen, dass viele Frauen bis in die 80er Krimis unter männlichem Pseudonym
schrieben, weil man behauptete, Frauen können keine Krimis schreiben. Doch wenn
ich mir die heutige Literatur ansehe, stelle ich fest, dass die Welt für Frauen
nicht größer wird, wir derzeit sogar einen Rückschritt starten. Wo sind denn
die Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen in unseren Büchern? Wo sind
Managerinnen und taffe Figuren, Frauen, die sich ihren Weg bahnen? Wo sind die
Schicksale von Frauen, die in die Ecke gedrängt werden? Studium,
Kindererziehung, keine Chance für beruflichen Einstieg bei der Rückkehr in den
Job, Pflege der Alten, Job nebenbei, während der Mann Karriere macht. Nach der
Scheidung hat er eine gute Rente, sie lebt am Sozialhilfeniveau, weil sie zu
wenig eingezahlt hat. Es sind reale Geschichten. Das will aber keiner lesen?
Verdrängung
der Realität. Liebesromane, historische Liebesgeschichten, Fantasyliebesromane,
Chicklit, Hauptsache Romantik, verklärte Welt, süße Badboys, die Frauen
verarschen; dürfen sie, sind doch süße Badboys ... Wollen wir das wirklich
lesen?
In
meiner Kindheit war unser Vorbild »Heidi« aus den Bergen, die eine Züricher
Familie aufmischte und » Die rote Zora und ihre Bande«. Bei der Generation
meiner Tochter war es die freche »Biene Maja«, »Pipi Langstrumpf«, »Momo«,
»Lara Craft«. Schaut man heute in die Kinderzimmer, ist alles rosa, »Prinzessin
Lilifee«, »Barbie«, passend dazu Lernsoftware, Computerspiele, Heftchen. Die
Ansammlung von Lippenstift, Lidschatten und Nagellack bei Mädchen unter 10
überschreitet wahrscheinlich das, was ich bis zum Lebensende zusammensammeln
werde. Da wundert man sich nicht, wenn auch die Frauenliteratur voller
schmachtender Barbies steckt. Immer wieder hört man von Autorinnen, dass ihre
Manuskripte abgelehnt werden, wenn sie nicht ins Schema passen:
Handwerkerinnen, Agentinnen die sich mittels Kampfsport zu wehren wissen
(selbst James Bond bekommt seit Jahren eine gleichberechtigte Partnerin
beiseitegestellt), unsympathische Frauenfiguren, Frauen, die andere abzocken
...
Es
wird sogar an der Kleidung von Protagonistinnen gemäkelt, sie seien nicht
feminin genug, müssen umgeschrieben werden. Da Schriftstellerinnen nun mal von
irgendwas leben müssen, sind sie oft genug bereit, sich anzupassen, ungern.
Mittlerweile geben Verlage auch mal Vorgaben, was zu schreiben wäre, wie die
Figuren auszusehen hätten ... Beliebt ist auch die Taschentuch-Literatur,
Autobiografien über Krankheit und Tod und Autobiografisches, Ratgeber, die
anleiten, wie man seine Speckrollen loswerden kann, Models, Schauspielerinnen,
die Frau erklären, wie man »hübsch« aussehen kann. In Frauenzeitschriften
findest du auf den ersten Seiten Diättipps, wir du 20 kg verlieren kannst. Und
auf den letzten Seiten präsentieren sie dir leckere Menüs und Kuchen,
schwerwiegende Rezepte … Seit ich lesen
kann, beobachte ich dieses Phänomen in Frauenzeitschriften. Frauen, warum lasst
ihr euch das gefallen? Solche Magazine braucht die Welt nicht!
Gibt
es in der Literatur noch Heldinnen wie Lara Craft? Gibt es taffe Frauen,
Wissenschaftlerinnen, Forscherinnen? Gibt es Gesellschaftsliteratur über die
täglichen Heldinnen? Es gibt sie, man muss sie heutzutage leider suchen und man
muss sich darauf einlassen. Je mehr Literatur über starke Frauencharaktere
gelesen wird, umso mehr wird sie auch gedruckt werden. Die Verlage bringen das
heraus, von dem sie meinen, sie könnten es verkaufen … Liebe Verleger*innen,
seid mutig! Bringt Bücher heraus, die nicht rund sind, nicht dem angeblichen
Mainstream entsprechen. Leider kommen viele gute Bücher aus dem Ausland, es
sind Übersetzungen. Denn ähnliche Bücher von deutschen Schriftstellern*innen
werden von euch abgelehnt … läuft nicht … Seid mutig, die Leser*innen werden es
euch danken.
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