Die Abgründe des mehr Scheins als Seins: Rezension zu "Lesereise in den Tod" von Jürgen Schmidt

Auf Jürgen Schmidts neuen Roman, übrigens seinen ersten Krimi, habe ich mich seit längerem gefreut. Im Januar erschien "Lesereise in den Tod" in der Edition Oberkassel und gibt der Realität entnommene Einblicke in die Selfpublisherszene und ihre Akteure.

Mona de la Mare, eitel, mit den überschwänglichen Lobhudeleien ihrer Blogger- und Fancommunity auf Facebook kokettierend, begibt sich mit ihrem Roman "Passwort Hurensohn" auf Lesereise. An einem Aschermittwoch stellt sie in einer Bücherei in Bad Münstereifel besagten Roman vor, danach isst sie zu Abend und begegnet ein wenig später ihrem Mörder. Zwei Wochen, nachdem Mona de la Mare erstochen aus der Erft geborgen wird, wendet sich ihr Vater, der Arzt Herbert Töpfer an den Privatdetektiv Andreas Mücke.  

Mit Andreas Mücke lernen wir einen angenehmen Vertreter seines Berufs kennen, keinen Soziopathen wie in den meisten Krimis, sondern einen zweimal geschiedenen Vater zweier Kinder in unterschiedlichen Entwicklungsstadien mit einem etwas chaotischen Privatleben. Mit Jessica, genannt Jess, würde er gerne eine engere Beziehung führen, doch sie bleibt auf Distanz und eröffnet ihm, während er den ersten gemeinsamen Urlaub mit ihr plant, dass sie mit einer Freundin zum Wandern nach Marokko reist. 

Trotz des schwierigen Beziehungslebens verfolgt Mücke hartnäckig den Fall, nimmt die Spuren hoher Geldbeträge auf, die an Mona gezahlt wurden, und sucht auch in ihrem unveröffentlichten Manuskript "Der Fratzenseher" nach Anhaltspunkten. Auch den Weg zu ihrem Ex, dem verpeilten, wie heruntergekommenen Musiker A.C. Stone in Krefeld, sowie zu einem der zahlreichen Liebhaber Monas nimmt Mücke auf sich. Zu den Personen, die Mücke im Verdacht hat, zählt ihr früherer Mentor, Jens Kulik. Schließlich hätte er Mona, die sich als Urenkelin des britischen Schriftstellers Walter de la Mare ausgab, gerne als ernsthafte Autorin aufgebaut, denn phantasievoll sei sie ja gewesen ...

Überraschend, aber sehr überzeugend baute Jürgen Schmidt einzelne Kapitel aus der Sichtweise eines Psychopathen auf Kreuzfahrt durch Skandinavien ein. Stimmen führen ihn, Stimmen befehlen ihm, er sieht Fratzen und kann nicht anders. Diese Kapitel fand ich sehr eindrucksvoll geschrieben. Findet sich ein Hinweis auf den Täter in Monas Manuskript? Wollte er gar die Veröffentlichung verhindern? Wir dürfen mitraten.

Ein weiterer Pluspunkt dieses Krimis ist der tiefe Einblick in die Selfpublisher-Szene. Anspruchslose Romane werden zu Lieblingen des Facebook-Klientels, außerhalb der Communities sind die Namen ihrer Autorinnen und Autoren aber unbekannt. Es geht um Klicks, Likes, Rankings und die Liebe der Fans als Bestätigung des Egos, nicht um Qualität und Authentizität als Person.

Zum Schreibstil: Er ist sehr flüssig und knapp, dadurch liest sich das Buch auch sehr schnell. Trotzdem nimmt der Leser viele wichtige Hinweise aus Dialogen und den Eindrücken Mückes auf. Ich mag die teilweise ruppige, derbe Sprache des Detektivs. Ich mag diesen Mücke und seine Familie und hoffe, bald wieder von ihnen zu lesen.  

 

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