Anchee Mins biografischer Roman „Madame Mao“ zählt zu meinen
Lieblingen im Bücherregal. Einmal begonnen, konnte ich dieses Buch nicht mehr
aus der Hand legen. Zum einen sind es der geschichtliche Hintergrund und das
Land China, die mich interessierten, beginnend vom feudalen Kaiserreich, zum
kolonialisierten und im 2. Weltkrieg von den Japanern besetzten Land und
schließlich hin zu Mao Tsetungs kommunistischer Revolution mit ihren
ehrgeizigen Zielen (heute ist die Volksrepublik China Supermacht Nummer Zwei).
Dann war es das Schicksal und das Leben der Jiang Qing, Maos Ehefrau, über das
ich bereits gelesen hatte, und mit diesem Roman konnte ich ihr Handeln
nachvollziehen.
Thema unserer Blogreihe lautet „starke Frauen“. Nicht immer
stehen die Protagonistinnen auf der strahlenden, vermeintlich guten Seite und
gehen am Ende als tugendhafte Meisterinnen ihrer bewältigten Aufgaben hervor. Sie
müssen auch keine Sympathieträgerinnen sein. Beeindruckender sind vielmehr die
gesellschaftlichen Bedingungen und ihre Lebensumstände, die ihr Handeln prägen.
Im China zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Frauen keinen
großen Stellenwert. Yunhe, so der eigentliche Name der späteren Madame Mao,
wird als Tochter einer Konkubine geboren. Sie erfährt, wie ihre Mutter vom
betrunkenen Vater misshandelt wird und ihr werden selbst als junges Mädchen die
Füße zu „Lotusfüßen“ gebunden. Eine schmerzhafte Prozedur – Yunhe widersetzt
sich und nimmt die Verbände ab. Doch die Wertlosigkeit als Frau, die ihr der
Vater suggeriert, nährt ihren Widerstand und auch die Unversöhnlichkeit, die
sie später berüchtigt machen soll. Als die Mutter den Vater verlässt, erziehen
die Großeltern das Mädchen. Die Mutter soll sie nie wiedersehen.
Yunhe schließt sich einer Theatergruppe an, wird aber zurück
zu den Großeltern gebracht und muss einen Mann heiraten, den sie nicht kennt. Bald
verlässt sie ihn, um sich erneut einer Schauspieltruppe anzuschließen. Mit dem
im Untergrund agierenden Sekretär der Kommunistischen Partei, Yu Quiwei, lernt
sie ihren zweiten Ehemann kennen. Doch auch diese Ehe hält nicht lange und
Yunhe versucht ihr Glück als Schauspielerin in Shanghai, einer schon damals
mondänen Metropole. Dort wechselt sie auch ihren Namen in Lan Ping und schafft
es zu einer gewissen Berühmtheit. Doch ihre Sympathien und ihr Engagement für
den Kommunismus bringt sie für kurze Zeit ins Gefängnis. Für einen
Schauspielkollegen hegt sie Gefühle, doch er weist sie ab. Sie heiratet ein
drittes Mal, den Bohemien Tang Na. Auch er scheint ihr nicht das zu geben, was
sie sich wünscht.
Die Legende von Mao Tsetung, der von der unwirtlichen und
armen Provinz Shaanxi aus seinen Partisanenkrieg gegen die Regierung von Chiang
Kaishek (der spätere Gründer der Republik Taiwan) führt, dringt zu Lan Ping
durch und 1937 gibt sie die Schauspielerei auf, um sich seiner Roten Armee
anzuschließen. Sie studiert Maos Gedichte, hört seinen Reden zu und gewinnt
seine Aufmerksamkeit und auch seine Liebe. Doch er ist noch mit Zizhen
verheiratet, die sich als Partisanin in die Sowjetunion abgesetzt hat, und es
gibt mit der Intellektuellen Fairlynn eine weitere Rivalin. In wilder Ehe leben
Lan Ping und Mao Tsetung in dessen Höhle zusammen. Das Politbüro muss der Scheidung
und eine erneute Heirat zustimmen. Aus Lan Ping wird Madame Mao Jiang Qing, was
übersetzt „Grüner Fluss“ bedeutet. Sie glaubt, endlich auch eine Rolle im
politischen Leben zu spielen.
Mit dem Ende des 2. Weltkriegs in Asien befindet sich auch
die Rote Armee auf dem Vormarsch durch China. 1948 übernimmt Mao in Peking die
Macht. Aber Jiang Qing bleibt eingesperrt in der Verbotenen Stadt, muss
mitansehen, wie er eine Beziehung mit Fairlynn führt. Sie wird nicht die
Einzige bleiben und Jiang Qing leidet an schweren Depressionen. Nicht minder
demütigend ist für sie in den Jahren der Einsamkeit, dass nicht sie als Chinas
First Lady gilt, sondern die Frau des Premierministers Wang Guangmei.
Verbitterung und Rachsucht beherrschen sie, und auch die schlimmsten Wünsche,
die sie für Mao hegt. Der propagiert derweil den „Langen Marsch“, die Kollektivierung
und Verstaatlichung. Dürren und Überschwemmungen fordern zudem Millionen von
Menschenleben, genauso wie Deportationen und Hinrichtungen.
Der „Lange Marsch“ droht zu scheitern, Mao ist von der Angst
getrieben, abgesetzt zu werden und bittet seine Frau um Hilfe. Jiang Qing
zögert nicht lange. Sie setzt auf die Jugend des Landes und 1966 beginnt die
„Kulturrevolution“, deren Auswirkungen noch heute in der chinesischen
Gesellschaft zu spüren sind. Klöster und Tempel werden zerstört, Kulturgüter
vernichtet, Denunziationen in den eigenen Familien sind keine Seltenheit. Für
Jiang Qing bedeutet die Kulturrevolution der persönliche Rachezug gegen
Liebhaber, die sie einst verschmäht hatten, gegen Fairlynn und Wang Guangmei.
„Schulden muss man eintreiben“, so ihre Lebensmaxime.
Inzwischen ist Mao Tsedung schwer krank. Jiang Qing strebt
danach, seine Nachfolgerin zu werden und schließt sich mit drei weiteren
Politbüromitgliedern zusammen. Nach dem Tod des Vorsitzenden entbrennt in
Peking der Machtkampf. Als Verbündete geglaubte Politbüromitglieder verleugnen
Jiang Qing. Schließlich wird sie mit der „Viererbande“ verhaftet und zu Tode
verurteilt. Die Todesurteile werden jedoch nie vollstreckt. Als Gefangene muss
Jiang Qing für den Export bestimmte Puppenkleider nähen – und bestickt Säume
mit ihrem Namen. „Wo werden sie landen? In der vergessenen Spielzeugkiste eines
Kindes? Auf einem Fensterbrett?“
Am 14. Juni 1991 begent Jiang Qing in ihrer Gefängniszelle
Selbstmord.
Ich hatte bereits vor 20 Jahren den autobiographischen Roman
„Die rote Azalee“ von Anchee Min gelesen, der während der Kulturrevolution
spielt. Da mir die Autorin durch ihren eindringlichen, wie auch beinahe schon
poetischen Schreibstil angenehm in Erinnerung blieb, kaufte ich mir auch
„Madame Mao“. Genau mit diesem Schreibstil verschaffte sie Nähe und tiefe
Einblicke in die Seele Jiang Qings. Anchee Min erzählt aus zwei Perspektiven.
Einmal dokumentarisch aus der 3. Person, dann überlässt sie über Passagen
hinweg Jiang Qing als Ich-Erzählerin den Raum, was ich sehr beeindruckend
finde, weil es ihr gelungen ist. Trotzdem beschönigt oder entschuldigt sie
nichts, was später in ihrem Namen geschah, und manchmal schauderte mir sogar
bei so viel Rachsucht, die schon an Besessenheit grenzte. Aber ich empfand auch
tiefes Mitgefühl, denn nicht einmal im prächtigsten Palast ist das Leben schön,
wenn die Einsamkeit und die Verachtung des eigenen Ehemanns die Begleiter sind.
Für Geschichtsinteressierte und Liebhaber anspruchsvoller
Romane, sowie komplexer Figuren ist „Madame Mao“ eine Empfehlung wert.
Comments
Post a Comment