Eine spannende und tiefgründige Kombination aus Science Fiction und Gesellschaftskritik: Rezension zu Alkatar
Facebook-Posts haben ihr Gutes: Ich bin auf die Einladung zu einer Leserunde der Autorin Anja Fahrner zu ihrem Science-Fiction Roman "Alkatar" aufmerksam geworden und habe mich beworben. Warum für dieses Buch?
Die Inhaltsangabe verrät bereits, dass die Menschen im Jahr 2030, also in einer nicht ganz fernen Zukunft, die Erde an den Rand einer Katastrophe gebracht haben. Außerhalb unseres Sonnensystems ist diese Entwicklung nicht unbemerkt geblieben, also starten die Laurasier, entfernte Vorfahren der Menschen, eine Rettungsaktion, indem sie Freiwillige von der Erde für ein Projekt rekrutieren. Diese Menschen sollen auf dem Planeten Zadeg, der der Erde ähnlich ist, im Einklang mit der Natur leben, also von vorne anfangen. Es wird ihnen eine zweite Chance für eine Weiterentwicklung geboten, die Alkatar, der Protagonist, ein laurasischer Heerführer und Telepath, überwachen und begleiten soll. Doch schon bald wird er mit den Abgründen der Spezies Mensch konfrontiert. Als ein intergalaktischer Krieg Zadeg von der Außenwelt abschneidet, setzt sich eine dramatische Entwicklung in Gang ...
Der Roman ist in vier Teile aufgebaut. Im ersten Teil "Sumas" beschreibt Anja Fahrner Alkatars Heimatplaneten Sumas. Dessen Bewohnerinnen und Bewohner sind mit telepathischen Fähigkeiten ausgestattet und es herrscht ein Matriarchat. Auf den ersten Blick scheint das Leben auf Sumas archaisch, denn die Jagd und das Handwerk sind der Lebenserwerb und die Gesellschaft wird von einflussreichen Sippen bestimmt. Männer, die körperlich nicht stark genug sind, um in der Wildnis zu jagen und Kinder - vor allem Töchter als "Senderinnen" und "Koordinatorinnen" - zu zeugen, finden in ihnen keinen Platz. So bleibt ihnen wie dem Schmied Marzellus, Mitglied der Sippe der Magari, die Wahl, Handwerker in der Stadt Ousadap zu werden, oder schlimmer noch, dem schmächtigen Henschel, als Heimatloser auf Almosen zu warten.
Alkatar soll sich nach seiner Initation in Ousadap einer Sippe anschließen, doch im wahrsten Sinne des Wortes verschläft er den Anschluss. Nach einem Überfall Heimatloser wird er von Marzellus aufgepäppelt. Doch Marzellus macht ihm klar, Alkatar muss für ihn in der Schmiede arbeiten. Für den jungen Sumarer, der zum Jäger bestimmt ist, nicht leicht. Zu ungeduldig verrichtet er seine Aufgaben. Es ist auch die Rede vom Interplanetaren Bund, über den Marzellus ähnlich verständnislos schimpft wie bei uns die EU-Verdrossenen. So aber erfährt Alkatar, dass es außerhalb Sumas' noch mehr geben muss. Mit Henschel schließt er eine tiefe Freundschaft und bewegt ihn dazu, sich als Seelsorger beim Interplanetaren Bund zu bewerben. Beim Vorstellungsgespräch bei der Senderin Onida hört Alkatar außerdem, dass es Gleichberechtigung und eine fortschrittliche Gesellschaftsform gibt und wird neugierig.
Doch für Alkatar ist vorerst etwas anderes bestimmt: Er wird von der Sippe der Magari aufgenommen. Dort wird er angesehener Jäger, muss aber auch mit der herrischen Rachil eine Tochter zeugen, während seine Gefühle der sanften Meisha gelten, dessen Sohnes Vater er wird. In der Hierarchie der Sippe aber sind Gefühle und Liebe unerwünscht. Nach einem Jagdunfall verlässt Alkatar die Magari und wird Heerführer beim Interplanetaren Bund.
Der zweite und damit der kürzeste Teil ist der Erde gewidmet. Wenn die derzeitige Entwicklung, öknomisch, politisch und gesellschaftlich so weitergeht, könnte das Szenario, das die Autorin für das Jahr 2030 ansetzt, durchaus realistisch sein. Arbeitslose durchziehen das Land in Gruppen, um nach Essen zu suchen - stellt sich die Frage, ob nicht das kapitalistische System archaischer ist? Nur wer Arbeit und sozialen Status hat, gilt etwas. In Frankreich ist es zu Unfällen in Kernkraftwerken gekommen, die Strahlung hat viele Menschen krank gemacht. Es gibt kaum noch Wälder und mit dem Auto zu fahren, wird aufgrund der knappen Ressourcen unbezahlbar.
In dieser Gegenwart leben die Geschwister Stefa und der Neurobiologe Heinrich, bis sie den Aufruf erhalten, sich als Freiwillige für eine geheime Mission zu melden. Stefa ist eine zurückhaltende, schüchterne und introvertierte junge Frau. Sie flüchtet sich in eine Fantasy-Welt und sucht Trost bei ihrer einzigen Freundin und ihrem Kaninchen. Heinrich ist sehr dominant, nimmt ihr Entscheidungen ab und nennt sie "Stefchen". Die Mutter ist durch die Strahlung schwer krank und der Vater arbeitet schwer, am Feierabend hat er nur noch Interesse daran, sich vom Fernsehprogramm berieseln zu lassen. Stefa leistet ihr freiwilliges soziales Jahr in einem Krankenhaus und lernt bei ihren Patienten Einsamkeit, Krankheiten psychischer und physischer Art als Folge eines Systems kennen, in dem der Mensch nur noch mehr arbeiten muss, um noch mehr konsumieren zu können ...
Schließlich melden sich Stefa, Heinrich und dessen elitäre Freundin, die Chemikerin Ulrike zur Mission.
Bis zum dritten Teil vergehen 70 Jahre im Kälteschlaf, bis die Siedler den erdähnlichen Planeten Zadeg erreichen. Henschel kümmert sich um die Erde und auch fürs Erste um die Neuankömmlinge, während Alkatar ihnen als Wächter zur Seite steht. Die Einwohner Zadegs, die liebenswerten Wallnas, helfen den Menschen, einfache Hütten zu errichten. Ziel ist es, der Menschheit eine zweite Chance und der folgenden Generation die Rückkehr auf die Erde zu ermöglichen, wenn sie lernen, im Einklang mit der Natur und der Überwindung des Klassensystems zu leben. Nur zögerlich schließt Stefa Freundschaften, vor allem mit den Wallnas. Sie verehrt Alkatar und sieht in ihm den Helden ihrer Fantasy-Geschichten.
Heinrich und Ulrike dagegen nutzen Stefa dazu aus, die Hütte sauber zu halten und zu kochen, während sie - unerlaubterweise - das den Menschen zugewiesene Tal für Expeditionen verlassen. Allmählich beginnen sich die beiden von den anderen Menschen abzuheben, beispielsweise durch ihre Kleidung und andere Abtrünnige gegen Alkatar zu finden. Sie verlassen die Siedlung und errichten eine neue, die sie "Gloria" nennen und jedem, der ihnen folgt, bessere Lebensbedingungen versprechen. Bald aber reicht Heinrich "Gloria" nicht mehr aus. Er und seine Anhänger beziehen die verlassene Festung Malatomb und benehmen sich wie die Herrscher, spielen mit Erbgut und greifen damit in die Schöpfung ein, was Alkatar zu seinem erbitterten Feind macht.
Durch die Freundschaft zu Alkatar verändert sich Stefa und wird mutiger und selbstbewusster. Etwas Besonderes kommt in der schüchternen Außenseiterin zu Tage ...
Im vierten Teil züchtet sich Heinrich eine neue Spezies, die "Simplen", die für ihn und seine Gesellschaft arbeiten sollen. Hier kommt sehr schön die Kritik an den Spielereien mit der Genetik und an einem System herüber, das Abhängige schafft und sie arm hält, damit sie sich nicht auflehnen. Die Zustände, so wie sie 2030 auf der Erde waren, sind unter Heinrich die gleichen, wenn nicht noch schlimmere geworden.
Jetzt gilt es, diese Entwicklung zu beenden, und für Alkatar ist klar, er muss Heinrich und seine Kreaturen beseitigen. In diesem Teil des Buches ist so klar herauszulesen, wie Alkatar der Bruch mit seinen Werten zusetzt, dass sich seine Sinne einschränken und er sich selbst fast aufgibt. Wird das ihm und Stefa gelingen, Heinrichs und Ulrikes Spiel zu beenden?
Mein Fazit: "Alkatar" ist ein mitreißend und wunderschön geschriebener Roman. Ein großes Lob an Anja Fahrners bildhaften und lebendigen Schreibstil, dem es zu verdanken ist, dass ich das Buch fast in einem Zug durchgelesen habe. "Alkatar" unterscheidet sich aufgrund seiner Tiefgründigkeit und treffenden Kritik von den meisten Werken des Genres. Sätze wie "Die Spezialisierung würde eure Gemeinschaft töten, noch bevor sie wachsen konnte. Sie hat in euren unvollkommenen Gesellschaftssystemen zu einer Zweiklassengesellschaft geführt, zu einer Beschränkung der schöpferischen Kraft durch Zwang zu einseitigen, oft stumpfsinnigen oder sinnlosen Aufgaben bis hin zu einer Verkrüppelung ethischer und moralischer Werte. Hier in Tamyras wird sich keiner über den anderen erheben, weil er sich zu Höherem berufen fühlt. Ihr seid alle gleichgestellt." sind wahre Worte und sollten den einen oder anderen zum Nachdenken anregen.
Als ich das Buch beendet hatte, musste ich, um mit Alkatar zu sprechen, noch einige Zeit lang nachspüren. Aber lest es selbst ...
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